Wir sind die Ausnahme
Natürlich entwickelt man auf jeder Reise, an jedem Ort schnell eine Routine. Ein normaler Wochentag sieht so aus: Wir schlafen bis um halb acht oder acht, frühstücken, gehen in die Schule. Auf dem Weg dahin sehen wir dieselben Menschen, die uns und wir sie freundlich grüssen, kaufen immer die gleichen Medialunas. Dann haben wir 4 Stunden Spanischunterricht (diese Woche sind wir nur zu zweit – puuuuh). Anschliessend gibt es was gegen den Hunger. Zurück in der Posada lernen wir oder wir unternehmen etwas, kochen oder gehen auswärts essen und lesen, lernen oder sind in der Stadt unterwegs. Zu unserem Alltag gehört auch, dass (ausser am Montag) jeden Abend der Krach der Küche des Restaurants unter uns zu hören, in der mal mehr und mal weniger laute Musik läuft, der irre Koch mal mehr und mal weniger schreit und dass wir die Menschen aus den Nachbarzimmern hören. Meist ist aber zwischen 23 und 8 Uhr Ruhe in der Bude.
Letzte Woche wurde diese Routine empfindlich gestört 😉 Zunächst kamen ab Mittwoch einige Arbeiter (ich habe bis heute nicht herausgefunden, wie viele es genau waren – acht?), die in der Posada für einige Tage wohnten. Am Donnerstag war unser Ivan dann auf einmal krank (Kotzeritis). Die Arbeiter standen gegen 5.30 Uhr auf, machten einen ziemlichen Krach, kamen gegen 7.15 Uhr zurück, um in der Küche zu brutzeln, zu palavern und alles in einem anderen Zustand zu verlassen als vorgefunden. (Das gilt auch für die Bäder mit WC.) Ivan belegte den Wohnbereich samt Bett im Dunkeln, Raucherbalkon inklusive. Eine anderen Bewohnerin und ich machten den Leuten, die klingelten, die Tür auf und das Desinfektionsmittel war für zwei Tage mein ständiger Begleiter. Normalerweise bin ich nicht so heikel…
Um ehrlich zu sein, waren wir froh, nach Buenos Aires flüchten zu können. Nach unserer Rückkehr am Sonntag kam es dann aber noch besser (die Arbeiter waren noch da). Die Wasserleitung zum einen WC ist defekt. In der Posada gibt es drei Badezimmer, die nebeneinander liegen. Ein Bad mit WC und Badewanne/Dusche, ein Bad mit Lavabeau und WC und ein Bad mit Lavabeau und Dusche. Also, jetzt ein WC weniger für ca. 15 Personen, dann ausser Nathalie, unserer Nachbarin und mir nur Männer, und im Bad mit Badewanne prangt ein riesiges Loch in der Wand und ein Schutthaufen neben der Wanne. Sollte gestern repariert werden…
Warum schreibe ich das so ausführlich? Der Standard, den wir pflegen, ist nicht die Norm. Unsere Häuser und Zimmer sind perfekt, bei uns ist oft alles piccobello. Eine Reparatur hat sofort zu erfolgen. Unser Anspruch ist hoch! Wir sind damit die Ausnahme, weltweit gesehen.
Übrigens – ein kleines, aber wie ich finde interessantes Detail: benutztes Toilettenpapier landet in einem Abfalleimer, nicht in der Toilette. Auch das an vielen Orten der Welt die Regel (z.B. auch auf Kreta), wir sind die Ausnahme.
Eine Überlegung unsererseits dazu: Wären wir entspannter, würden wir weniger Perfektionismus und mehr Gelassenheit an den Tag legen? Mehr leben? Uns mehr auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren? Unsere Prioritäten verschieben?
Die Entspanntheit der Menschen spüren wir auch im Alltag. Wie wir erfuhren und erleben, stehen die Menschen hier gern in der Schlange (in Argentinien wie in Uruguay). Und Drängeln ist total verpönt! Können wir uns in der Schweiz nicht vorstellen. Am letzten Mittwoch gingen wir zu einem öffentlichen Konzert im Parque Rodó, wo das philharmonische Orchester spielte. Sie haben eine Dirigentin (ich frohlockte!!). Sie spielten Tangomusik und Stücke von Astor Piazolla, auch Bearbeitungen unter freiem Himmel. Halb Montevideo kommt mit Campingstühlen, Oma, Opa, Kind und Kegel, um dieses jährliche Konzert zu erleben. Hier eine Kostprobe:
Und dann muss ich mich noch der Mate-Kultur widmen. Ich möchte alle Uruguayas und Mate-Kenner im Vorfeld um Entschuldigung bitten, wenn hier etwas nicht korrekt erklärt wird. Es ist alles aus unserem persönlichen Blickwinkel und mit einem Augenzwinkern geschrieben.
Also die Sache mit dem Mate. Auf der Strasse sehen wir viele Menschen mit einer Thermoskanne und einem rundlichen Becher herumlaufen. Die Termoskanne klemmt sich der passionierte Matetrinker unter den Arm, den Becher – Mate genannt – hält er oder sie in der Hand. Natürlich machte uns das neugierig und wir gingen selbstverständlich zum Mateworkshop in unserer Schule.
Mate ist eigentlich ein Tee, die Zubereitung ist jedoch ein kompliziertes Ritual: Yerba Mate, so nennt man das Kraut hier, werden in die Mate gefüllt, dann muss das ganze schräg geklopft und gekippt werden, die Kräuter werden mit kaltem Wasser eingeweicht. Dabei muss der obere Teil der Kräuter trocken bleiben, der Berg, sonst gibt es ein Schwimmbad im Becher (für Ausstattung und Zubereitung gibt es ein spezielles lustiges Vokabular). Dann wird das erste Mal heisses Wasser aus der Thermoskanne zugefügt, und probiert. Dazu saugt man an der Bombilla, einer Art Löffel, der zum einen wie ein Strohhalm gebaut ist und unten wie ein Sieb geformt ist, damit man keine Kräuter einsaugen kann. Ist der Mate gut und wird er für mehrere zubereitet, geht der Becher nicht etwa von einem zum anderen, sondern der Chef der Runde giesst Wasser auf, gibt die Mate (den Becher) einer Person in der Runde, es wird solange getrunken, bis der Becher leer ist. Die Mate geht zurück an den Rundenchef, der giesst Wasser auf und gibt den Becher an die nächste Person, usw. Kompliziert also. Und alle trinken aus dem gleichen Strohhalm und es wird immer wieder neu aufgegossen, ohne dass die Kräuter gewechselt werden. Das kann ziemlich lange so gehen.
Man muss wohl hier geboren sein, um das zu mögen… Wir fanden es extrem bitter und auch die sanfteren Varianten haben uns nicht geschmeckt. Jedenfalls ist es Kult und die Uruguayas unterhalten sich ständig über Mate. Es gibt ihn übrigens auch mit Canabis 😉 Vielleicht wäre das noch einen Test wert.
der Hans ist ja auch mit! Habe ihn auf einem Bild entdeckt, ist wohl ein Suchrätsel wie in der „Hörzu“?
Weiterhin gute Reise und spannende Erlebnisse?
Beste Grüße aus good old Germany
sventesilly
Na klar ist der Hans auch mit. Den können wir doch nicht daheim lassen. Sein Spanisch ist jedoch miserabel, obwohl er sich stolz Juan-Carlos nennt 😉
Hallo Ihr Beiden. Vielen Dank für die Berichte, auch über Buenos Aires. Am Besten gefallen mir die Fotos von
den Reparaturen :-). Ja, es ist schon so, wir sind uns solche Dinge schon nicht gewohnt. Da kommt mir meine
Reise in Indien in den Sinn, da gab es teilweise „Feld-und-Wiesen-Toiletten“, wunderbar. Ein Loch in der Erde…..
Weiterhin viel Spass und gute Reise mit dem Velo. Liebe Grüsse. Vreni