Women on Bike – ein (ernstgemeinter) Ratgeber für Männer

Hügel Nr. 23

In der Tourenvelo- und Wanderszene hört und liest man immer wieder Berichte, dass es eigentlich unmöglich sei, dass Frauen und Männer über längere Distanzen zusammen unterwegs sein können. Zu gross sei der physische und psychische Unterschied. Früher oder später käme es deswegen zu massiven Auseinandersetzungen und Trennungen – oft noch während der Reise. Höchste Zeit also für einen Ratgeber. Ich sehe mich dafür legitimiert, kann ich doch auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken. Zudem ist der Formzustand zwischen Carmen und mir nicht unerheblich. Nicht, dass Carmen unsportlich wäre, ganz im Gegenteil, sonst könnte sie niemals eine solche Reise durchstehen. Leider hat sie mit mir einen Partner erwischt, der bald seit 40 Jahren dauernd trainiert und in den letzten 22 Jahren jährlich einen Marathon gelaufen ist. Zudem weiss ich, was es heisst, wenn eine Begleiterin (nicht Carmen) plötzlich das Velo wegschmeisst und sich mitten auf eine Passstraße setzt und in den Streik tritt – nur 5km vor dem Ziel!

Hier also die sechs wichtigsten Tipps:

1. Training

Stelle sicher, dass deine Partnerin VOR der gemeinsamen Velotour trainieren geht und mit dem Velo mindestens zwei bis drei mal 80 km zurücklegt. Bleibe in dieser Zeit zu Hause und erledige Hausarbeiten (wie man Hemden bügelt, kann ich dir zeigen). Es bringt nichts, diese Ausfahrten gemeinsam zu machen. Du würdest sonst nur am Gelingen der Veloreise zweifeln.

2. Gepäck

Achte darauf, dass sie nicht zu viel Gepäck mitnimmt. Gepäck = Gewicht, das dauernd mitgeschleppt werden muss. Auf der Ebene ist das kein Problem, wenn es aber bergauf geht, wird deine Begleiterin zur Schnecke. Von aussen sehen unsere bepackten Velos gleich aus. Ich achte aber darauf, dass mein Gepäck schwerer ist (ich schleppe das Zelt und die Verpflegung mit). Es ist übrigens völlig normal, dass deine Partnerin unterwegs das Gefühl hat, doch zu viel Gepäck dabei zu haben und ab und zu etwas wegschmeisst oder ein Paket nach Hause schickt. Auch dass sie das Gefühl hat, dass ihr Gepäck schwerer sei, ist nicht aussergewöhnlich (meistens kommt der Vergleich, wenn deine beiden Vorratstaschen mal ausnahmsweise fast leer gegessen sind).

3. Einstellungen am Velo

Ein wichtiges Thema sind die Einstellungen an ihrem Velo. Während Mann einfach aufs Velo sitzt und die Velofahrt geniesst, stellt Frau dauernd ihre Position auf dem Velo in Frage. Den Sattel 1,5 mm höher, dann wieder 0,5 mm runter, den Sattel nach vorne, dann wieder nach hinten, dann ist plötzlich der Lenkervorbau zu kurz oder zu lang und dann fühlen sich die prall gefüllten Reifen so an, als ob sie platt sind. Dazwischen wird auch einmal die Position der Hände am Lenker in Frage gestellt. Also Männer: viel Verständnis haben und einen Inbus-Schlüssel und eine Velopumpe griffbereit halten.

4. Vor oder hinter ihr

Ungelöst scheint die Frage zu sein, ob nun der Mann vor oder hinter der Frau fährt. Mein Tipp: es kommt darauf an. Die ersten zwei Stunden fahre ich problemlos hinter Carmen und lasse sie das Tempo bestimmen. Wir pedalen mit einer angenehmen, weil regelmässigen Trittfrequenz durch die Gegend. Nach zwei Stunden kann das schlagartig ändern. Da beginnen die Hosen zu klemmen, die Füsse zu schlafen, die Hände zu kribbeln und aus der regelmässigen Fahrt wird eine Art „Stop and Go“. Mir wäre es immer noch am wohlsten, möglichst regelmässig zu pedalen. So bleibt mein Popo am längsten schmerzfrei und ich riskiere nicht, das Velo von Carmen zu crashen. In diesem Stadium der Tagesetappe wäre es nun falsch, die Partnerin zu überholen und davonzufahren! Ich empfehle die Taktik des „-Sich-zurück-fallen-lassens“. Halte einfach kurz an, lass eine Distanz von 200 bis 300 m entstehen und dann fahre wieder los. So hast du eine genügend lange Pufferdistanz und kannst wieder gemütlich und regelmässig weiter pedalieren. Eine Ausnahme sind die steilen Anstiege. Ab einer gewissen Mindestgeschwindigkeit brauche ich mehr Strassenbreite oder falle um. Carmen beherrscht das langsame Bergfahren perfekt. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als zu überholen und meinen Rhythmus zu fahren. Kleiner aber wertvoller Tipp: oben auf der Anhöhe auf deine Partnerin warten und sie bei der Ankunft mit einer Welle oder einigen Lobesworten empfangen.

5. Hunger

Das Thema Hunger muss seriös vorbereitet werden. Er setzt bei radfahrenden Frauen plötzlich ein. Du merkst es spätestens, wenn sie zur Diva wird. Also immer etwas Essbares in Griffnähe habe. Die Frage, ob etwas Salziges oder Süsses, kann ich nicht definitiv beantworten. Was manchmal richtig ist, kann plötzlich falsch sein. Also immer beide Lösungen bereithalten, so gibt es keine bösen Überraschungen.

6. Pipipause

Auch die Pipipause akzeptiert keine Nachlässigkeit. Während Mann bei entsprechendem Druck einfach beim nächsten Baum anhält (ob dieser nun dick oder dünn ist) und sich Erleichterung verschafft, muss die Pipistelle für die Frau kilometerlang rekognosziert werden. Hier ein paar Grundregeln: möglichst im Schatten, gut zugänglicher gebogener Busch der beide Fahrrichtungen perfekt abdeckt, kein hohes Gras, in dem sich Spinnen und Käfer verstecken und nur darauf warten, bis Frau eine Pipipause macht – diese Aufzählung ist nicht abschliessend.

Das also sind die wichtigsten Grundregeln.

Wenn das Vorhaben trotzdem schief läuft übernehme ich keine Verantwortung.

11 Kommentare bei „Women on Bike – ein (ernstgemeinter) Ratgeber für Männer“

  1. Auf einer Pass-Strasse das Velo wegschmeissen? Das sind nur Anfangsschwierigkeiten. Meine Erfahrungen zeigen, dass Frauen mit zunehmendem Alter in dieser Beziehung zäher werden.
    Weiterhin viel Spass. Geniesst es!
    Jürg

    1. Ich war’s nicht 😉
      Liebe Grüsse und Danke, lieber Jürg.
      Carmen

  2. Lieber Jörg, zu der Zeit als wir noch unsere Radurlaube ( nicht mit euren Fahrten zu vergleichen. Bei uns waren es maximal 430 km) machen konnten, war Christiane immer eine der ersten. Mit dem Zurückfallen kann ich dir nicht unbedingt zustimmen. Einmal machte das Christiane am Bodensee. Wir mussten warten und wussten nicht warum. Nach ca. 15 Minuten kam sie, aber keinesfalls geschafft – sie hatte in einem Weinberg Halt gemacht und dort Weintrauben geklaut. Mit dem Pipimachen stimme ich dir aber vollkommen zu.
    Herzliche Grüße auch an Carmen euer Dieter.

    1. Lieber Dieter
      Manchmal muss Jörg auf mich auch stundenlang warten. Dann mache ich einfach mal ne Runde Fotos 🙂
      LG auch an Christiane
      C&J

  3. Na das wird ja lustig- bei uns kommen im Sommer ja auch noch zwei Kids mit ?. Die sind aber teilweise fitter als wir Großen, nur mit dem Durchhaltevermögen müssen wir mal schauen…
    Also: 2 Männer, 2 Frauen— wir mischen die Reihenfolge wer wo fährt, wir essen ständig zwischendurch, machen vorsorglich an jedem Baum halt, ich brauche bis zum Sommer keinen Haushalt mehr machen und überlasse alles Sven und er kriegt auch das ganze Gepäck. Hab ich doch richtig verstanden, oder ??
    Habt weiterhin eine schöne Zeit ?

    1. Liebe Silly
      Ich glaub, genau so hat er es gemeint. Bin jedenfalls gespannt auf Euren Bericht ??‍♂️?‍♀️?‍♂️?‍♀️

  4. Sehr cool 🙂

  5. Liebe Carmen
    Die Tips von Jörg tönen ja nicht schlecht. Trotzdem würde ich eine solche anstrengende Reise nie machen. Bravo ihr zwei??
    Weiterhin viel Spass . Lg vreni ingold (aquafit)

    1. Liebe Vreni
      Es ist ja nicht jeden Tag anstrengend 😉 Danke und liebe Grüsse an die Aqua-Mädels
      Carmen

  6. Hallo lieber Jörg, wahrscheinlich hast du meistens recht, das kann ich gar nicht so beurteilen. Nur in Punkt 5 – Hunger- muss ich widersprechen. Das ist nicht Frauenspezifisch, sondern ein spezielles, erblichres Falkenreck-Gen!!!!
    Das kenne ich aus Erfahrung und meine beiden Schwiegersöhne kennen das auch sehr sehr gut:
    Zitat: „ nicht wundern, gib ihnen einfach was zu essen“!!!‘??
    In diesem Sinne einen lieben Gruß an euch beide und weiterhin eine gute gemeinsame Reise??die liebe Tante aus Hannover plus Familie?

    1. Jörg Sigrist sagt:

      Hab ich mir doch fast gedacht Doro ?. Danke für die Bestätigung! Heute war der Hunger kein Thema. Wir waren keine drei Stunden auf dem Velo?.
      Liebe Grüße auch an Friedhelm!
      Jörg

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